Sonntag, 19. Februar 2017

Rezension: Libellen im Kopf von Gavin Extence

Libellen im Kopf 
von Gavin Extence


Originaltitel: The Mirror World of Melody Black
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst

Verlag: Limes
Seitenzahl: 352
Hardcover: 19,99 €
ebook: 15,99 €

1. Auflage: Nov 2016




 Das Leben hat seine Höhen und Tiefen.
Die Kunst ist es, das eine vom anderen zu unterscheiden

 * * *

Alles begann, wie es manchmal eben so ist, mit einem toten Mann. Er war ein Nachbar – niemand, den Abby gut kannte, dennoch: Einen Verstorbenen zu finden, wenn man sich nur gerade eine Dose Tomaten fürs Abendessen ausleihen möchte, ist doch ein bisschen schockierend. Oder sollte es jedenfalls sein. Zu ihrem eigenen Erstaunen ist Abby von dem Ereignis zunächst seltsam ungerührt, aber nach diesem Mittwochabend gerät das fragile Gleichgewicht ihres Lebens immer mehr ins Wanken, und Abby scheint nichts dagegen unternehmen zu können …

Meine Meinung

Die Geschichte steigt sofort in dem Moment ein, in dem Abby ihren Nachbarn tot in seinem Sessel findet. Auch wenn sie ihn kaum kennt wundert so manchen sicher ihre gelassene Reaktion und das völlige Fehlen von Emotionen, die sie dabei an den Tag legt. Man merkt also sofort, dass bei ihr irgendetwas anders läuft bzw. sie zumindest ein bisschen anders tickt als andere Menschen.

Aus der Ich Perspektive erzählt gelingt es dem Autor sehr gut, die intensiven Gedankengänge von Abby anschaulich zu machen, auch wenn man sich oft nicht so recht reinversetzen kann. Denn obwohl sie sehr in ihrer Gefühlswelt lebt, sind ihre Aktionen manchmal oder vielleicht gerade deshalb fragwürdig. Allerdings konnte ich vieles sehr gut nachvollziehen, denn wie oft hat man selber total kuriose Gedanken, die man jedoch recht schnell verwirft und erst recht keinem anderen direkt anvertrauen würde - weil es nicht "normal" erscheint.
Aber was ist schon normal? Diese Frage beschäftigt mich oft und diese Geschichte hat dieses Thema bei mir wieder aufgeworfen. Denn prinzipiell ist ja alles normal, sonst würde es ja gar nicht "existieren" oder vorkommen. Nur weil eine Mehrheit es anders macht und eine Norm daraus entsteht, muss man sich ja nicht in ein Muster pressen lassen. Anders sieht es natürlich mit Krankheiten aus, bei denen die Menschen drunter leiden und aus ihrem Schema nicht mehr alleine rauskomkmen.

Gavin Extence leidet selbst unter eine bipolaren Störung, was das ganze für mich nochmal interessanter gemacht hat: denn jemand mit eigener Erfahrung kann doch reeller darüber schreiben als jemand, der sich "nur" damit beschäftigt hat.

Abby steht also vorerst mal ständig unter Hochspannung und sprudelt regelrecht über vor Gedanken und Aktionen. Sie eckt damit natürlich an, kann nicht einschätzen, wie andere auf bestimmte Dinge reagieren und ist mit ihrer quirligen Art sicher kein einfacher Charakter. Das merkt sie selbst schon und ihr ist es bewusst, aber sie kann das sehr gut verdrängen und besticht auch irgendwie mit ihrer "Leichtigkeit". Ihre Besuche bei der Therapeutin zeigen aber auch deutlich, wie schwierig es für sie manchmal ist, die einfachsten Entscheidungen zu treffen und auch zu beurteilen.
Das Finden der Leiche ihres Nachbarn hat bei ihr einen Schub ausgelöst - sie setzt sich damit sehr vehement wenn auch unorthodox auseinander und steigert sich dabei immer mehr in eine Manie. 

"Ich bin nicht länger Abby, ich bin Alice, die in das Kaninchenloch purzelt 
und nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, oder rechts und links." S. 156

Ich hab es als sehr faszinierend empfunden, so nah an diesem Empfinden dran zu sein, dieser völlig fehlenden Impulskontrolle - teilweise ist es mir aber auch nicht leichtgefallen aufgrund einiger persönlicher einschneidender Erfahrungen in den letzten Jahren. Vor allem in dem Moment, in dem sich alles ins Gegenteil verkehrt, denn natürlich bleibt diese Hochstimmung nicht endlos vorhanden.
Vor allem auch das Problem mit Ärzten, mit Diagnosen und Behandlungen ist mir bis zu einem gewissen Grad vertraut, auch wenn hier alles zwar anschaulich, aber eben für die Allgemeinheit annehmbar dargestellt wird. Zumindest was meine Sicht auf diese Dinge betrifft.

"Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, 
dass geistige Gesundheit nichts weiter war als eine Frage des Benehmens. 
Sie konnte gemessen werden anhand der Sauberkeit von Haaren, 
an der Mimik und wie man auf eine Reihe von gesellschaftlichen 
und sozialen Stichworten reagierte." S. 210

Mit Beck hat Abby einen wunderbaren Freund, der ihr so gut er kann beisteht. Wie schwierig es gerade für ihn oder Angehörige ist, konnte ich sehr gut nachempfinden und es gehört schon eine Menge Mut und Durchhaltevermögen und Liebe dazu, um mit Menschen mit einer psychischen Krankheit irgendwie auszukommen und vor allem zusammenzuleben.

Diese Geschichte gibt einen sehr intensiven und ehrlichen Einblick in das Gefühlschaos und den außergewöhnlichen Verlauf dieser Krankheit, die so gegensätzliche Phasen durchläuft. Dabei sieht man sehr deutlich, wie schwer es zu verstehen und nachzuvollziehen ist.

Mutig fand ich auch, dass der Autor am Ende zwar sehr kurz, aber auch sehr offen über seine eigene Erfahrung mit Manie und Depression erzählt und ich kann ihm nur wünschen, dass er in Zukunft mit seinem Leben gut klarkommt und dass er glücklich ist.

"Sie können niemanden glücklich machen, genauso wenig, wie jemand Sie glücklich machen kann. Echtes Glück funktioniert anders. Man muss lernen, alleine glücklich zu sein. 
Dann kann man anfangen zu überlegen, wie man mit jemand anderem glücklich ist." S. 293

Bewertung

  http://blog4aleshanee.blogspot.de/search/label/4%2F5%20Sonnen

© Aleshanee 

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
 Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension 
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.


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Über den Autor: Gavin Extence, geboren 1982, lebt mit seiner Frau, seinen Kindern und einer Katze in Sheffield. Mit seinem Debütroman »Das unerhörte Leben des Alex Woods« schrieb er sich in die Herzen von Lesern und Kritikern gleichermaßen. Der Roman wurde in Großbritannien mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, eroberte auch in Deutschland die Bestsellerliste und gehört zu den meistempfohlenen Büchern 2014. »Libellen im Kopf« ist der zweite Roman von Gavin Extence.
Quelle: Limes Verlag


Das unerhörte Leben des Alex Woods - ebenfalls ein empfehlenswertes Buch von ihm! --- Meine Rezension ---

Alex Woods ist zehn Jahre alt, und er weiß, dass er nicht den konventionellsten Start ins Leben hatte. Er weiß auch, dass man sich mit einer hellseherisch begabten Mutter bei den Mitschülern nicht beliebt macht. Und Alex weiß, dass die unwahrscheinlichsten Ereignisse eintreten können – er trägt Narben, die das beweisen. Was Alex noch nicht weiß, ist, dass er in dem übellaunigen und zurückgezogen lebenden Mr. Peterson einen ungleichen Freund finden wird. Einen Freund, der ihm sagt, dass man nur ein einziges Leben hat und dass man immer die bestmöglichen Entscheidungen treffen sollte. Darum ist Alex, als er fünf Jahre später mit 113 Gramm Marihuana und einer Urne voller Asche an der Grenze in Dover gestoppt wird, einigermaßen sicher, dass er das Richtige getan hat …

7 Kommentare:

  1. Guten Morgen :-).

    ich wusste gar nicht das es ein neues Buch von Autor gibt. Das erste Buch konnte mich schon sehr begeistern und ich glaube dieses hier, wird mir ebenfalls gefallen. Danke dir, für deine sehr schöne ausführlich Rezension. Das Buch kommt sofort auf die Wunschliste.

    Liebe Grüße,
    Vanessa

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    1. Ich hab das auch nur durch Zufall entdeckt ... es kam ja schon letztes Jahr raus. Aber davon hat man irgendwie nix gehört. Bei "Alex Woods" war das anders ^^ Aber ich hoffe, dass noch viele mehr darauf aufmerksam werden!

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  2. Ja. Ich zum Beispiel. :-) An mir ist das Buch auch komplett vorbei gegangen. Das Debüt hatte mir gut gefallen. Da werde ich die Tage wohl mal zum Buchladen tapern... Merci

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  3. Liebe Aleshanee,

    schön das du das Buch auch gelesen hast und das es dir gefallen hat. Für mich war es ja klar das ich das Buch lesen erde, da ich damals schon total begeistert vom Debüt "Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat" war. Ich wusste erst nicht wirklich was mich für eine Geschichte im buch erwartet, das war mir erst nicht wichtig aber ich fand es einfach hervorragend. Ich kann es wirklich auch allen empfehlen die Geschichten mit Tiefgang mögen und sich auch gerne mit Themen auseinander setzen die und er Gesellschaft nicht so offen besprochen werden.

    Und ja, ich fand es auch erfrischend das der Autor sich da geortet hat, aber das hat man sich schon denken können wenn man das Buch aufmerksam liest.

    So oder so, ich freu mich auf das nächste Buch, hoff wir müssen nicht so lange darauf warten und ich bin gespannt mit welchem Thema er dann aufwartet.

    Liebe Grüsse und noch einen schönen Sonntagabend ;)
    Alexandra

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  4. Hallo!

    Nachdem ich endlich mal deinen letzten Kommentar entdeckt und beantwortet hatte, musste ich einfach noch einmal vorbeischauen. Eine tolle Rezension, und die Zitate die du ausgesucht hast sind wunderbar, speziell das letzte hat sich mir ebenfalls einfach eingeprägt. Das Gefühl so "nahe" an Abby und ihrer bipolaren Störung dran zu sein habe ich ja ebenfalls so empfunden. Als jemand der mental ebenfalls nicht auf der Höhe ist (wenn auch lange nicht auf so drastische Weise wie Abby) hat sich das Buch teilweise wirklich fast einen Ticken zu real angefühlt.
    Hoffentlich werden wirklich noch einige Leute mehr auf das Buch aufmerksam, und hoffentlich gibt es von Gavin Extence auch noch weitere Romane zu lesen!

    Liebe Grüße, Biene

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